Hartz IV: Klagewelle rollt Bundessozialgericht legt Eckpunkte fest12.11.2006 15:23 (dmb) „Das Bundessozialgericht hat mit seinen ersten Hartz-IV-Entscheidungen deutliche Kritik an der Praxis vieler Gemeinden und Arbeitsagenturen geübt und Schwachstellen im Gesetz aufgezeigt“, kommentierte Dr. Franz-Georg Rips, Direktor des Deutschen Mieterbundes (DMB), die ersten Hartz-IV-Urteile des obersten deutschen Sozialgerichts. „Wir begrüßen, dass das Gericht Eckpunkte festlegt, die – wie von uns immer gefordert – für mehr Einheitlichkeit, Objektivität und Gerechtigkeit bei der Ausführung der Reform sorgen können. Gleichzeitig verstehen wir die Urteile des Bundessozialgerichts als Appell an den Gesetzgeber, nachzubessern:
Wir brauchen klare Vorgaben und Kriterien, wie die Angemessenheit der Unterkunftskosten und der zu übernehmenden Betriebskosten zu bestimmen sind.
Auch die Frage, welche Wohnungsgrößen für ALG-II-Empfänger angemessen sind, muss eindeutig geregelt werden. Es kann nicht sein, dass einem allein stehenden Mieter 45 bis 50 Quadratmeter zugebilligt werden, ein allein stehender Wohnungseigentümer aber weiterhin in einer 80 Quadratmeter großen Wohnung leben kann.“
Das Bundessozialgericht hatte erstmals zu den umstrittenen Fragen der Angemessenheit von Wohnraum und Unterkunftskosten Stellung genommen (B 7b AS 18/06 R; B 7b AS 10/06 R; B 7b AS 2/05 R) und dabei entschieden:
Bei der Festlegung der „Angemessenheit der Unterkunftskosten“ darf nicht auf die bundesweit geltenden Wohngeldhöchstbeträge des Wohngeldgesetzes zurückgegriffen werden. Die Kommunen müssen eigene objektive Maßstäbe für die Angemessenheit einer Wohnung entwickeln, die den örtlichen Gegebenheiten besser entsprechen.
Rips: „Richtig. Das hat schon früher das Bundesverwaltungsgericht im Sozialhilferecht entschieden. Kommunen können sich jetzt zum Beispiel an den mittleren Werten eines Mietspiegels orientieren. Alternativ können sie auch die örtlichen Mieten im Sozialen Wohnungsbau als Maßstab heranziehen. Notfalls müssen sie eigene Erhebungen zu den örtlichen Wohnkosten durchführen. Der Bundesgesetzgeber hat es hier in der Hand, eindeutige Vorgaben zu machen und Kriterien festzulegen.“
Die Angemessenheit der Unterkunftskosten darf nicht nur über die Wohnungsgröße oder den Quadratmeterpreis festgesetzt werden. Entscheidend ist das Produkt aus Preis und Größe. Der ALG-II-Empfänger, der eine kleine Wohnung bezieht, hat deshalb mehr Spielraum beim Quadratmeterpreis.
Rips: „Richtig. Entscheidend ist der Mietpreis für die Wohnung, nicht die Frage, wie viele Quadratmeter bewohnt werden oder welcher Quadratmeterpreis sich rechnerisch ergibt.“
Ein ALG-II-Empfänger muss im Regelfall nicht an einen anderen Ort umziehen, um seine Wohnkosten zu senken.
Rips: „Richtig. Auch demjenigen, der verpflichtet ist, seine bisherigen Unterkunftskosten zu reduzieren, ist nicht zuzumuten, seinen örtlichen Lebensmittelpunkt zu wechseln und in eine andere Stadt zu ziehen.“
Für einen allein stehenden Wohnungseigentümer ist eine 80 Quadratmeter große Wohnung nicht unangemessen groß, er kann wohnen bleiben. Für eine vierköpfige Familie sind Wohnungsgrößen bis 120 Quadratmeter in Ordnung. Bei einem dreiköpfigen Haushalt sind es 100 Quadratmeter.
Rips: „Diese vom Bundessozialgericht festgelegten Obergrenzen dürfen nicht nur für Wohnungseigentümer gelten. Sie müssen auch für Wohnungsmieter herangezogen werden. Es ist nicht nachvollziehbar, warum einem Hartz-IV-Eigentümer 80 Quadratmeter und einem Hartz-IV-Mieter 45 bis 50 Quadratmeter zustehen sollen. Auch hier ist letztlich der Gesetzgeber gefordert, Klarheit zu schaffen.“
Die Hartz-IV-Klagewelle rollt. Sie hat jetzt erstmals das Bundessozialgericht erreicht. „Im Laufe des nächsten Jahres werden wir uns an Urteile aus Kassel gewöhnen müssen“, sagte der Direktor des Deutschen Mieterbundes. „Die von uns schon Anfang des Jahres prognostizierte Klageflut bei den Sozialgerichten ist eingetreten. Allein in Berlin sind in den ersten 10 Monaten dieses Jahres fast 10.000 Klagen eingereicht worden. Auch das ist ein Beleg dafür, dass die zugrunde liegenden Gesetze gravierende Schwächen aufweisen und dringend nachgebessert werden müssen.“
Quelle: Deutscher Mieterbund
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